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Gamen – Familienstreitpunkt 1

Gamen – Familienstreitpunkt Nr. 1

In aller Munde, eines der grössten Familienärgernisse der Zeit – das Gamen.

Ich kenne kaum ein Mami, das sich nicht auch über das Gamen der Kinder nervt. Die allermeisten Familien kennen das Problem. Der Reiz, an irgendein Gerät zu sitzen ist bei älteren Kindern und Jugendlichen ist hoch. Sei es um vom stressigen Schulalltag runterzufahren oder einfach aus lauter Langeweile oder aus Gruppendruck, weil alle anderen online miteinander spielen. Ganz persönlich erlebe ich die Thematik als sehr herausfordernd. Es braucht viele Gespräche mit den Kindern zusammen, es braucht Abmachungen und Regeln. Ich bin der Meinung, dass Verbote kontraproduktiv wirken und den Reiz, die Grenze zu überschreiten eher animieren. Also gibt’s eigentlich nur den Weg, den Umgang mit den Medien sinnvoll zu lernen, zu trainieren und die damit verbundenen Konflikte auszutragen. Das kann von den Eltern ordentlich Nerven abverlangen.

Gamen in Bezug auf die Hochbegabung und Hochsensibilität

Der polnische Psychologe und Psychiater Kasimierz Dabrowski versteht unter Hochsensibilität eine hoch ausgeprägte Aufnahmefähigkeit und zugleich Sensibilität (als Folge einer höheren Erregbarkeit des zentralen Nervensystems).
(vgl. Preckel/Vock 2021: 136) Er teilt die Sensibilität in fünf Bereiche ein:

  • psychomotorisch (z.B. erhöhtes Aktivitätslevel als Folge eines Überschusses an Energie)
  • sensorisch (z.B. erhöhte Sensibilität der Sinnesorgane wie Berührungen, Geschmacksinn…)
  • intellektuell (z.B. intensives Streben nach Wissen und Erkenntnis)
  • imaginational (z.B. ausgeprägte Fantasie)
  • emotional (z.B. gesteigerte Intensität des emotionalen Erlebens)

Betrachten wir die oben aufgeführten fünf Bereiche, so können wir daraus die Bedürfnisse von hochsensiblen und hochbegabten Kindern in Bezug auf das Gameverhalten nachvollziehen. Energieüberschuss, da kommt ein Game, sitzend, gerade mal gelegen und das Kind findet mit dem Medium leicht den Fokus auf eine Sache. Oft haben hochsensible und/oder hochbegabte Menschen einen ausgeprägten Zugang zu Fantasiewelten und versuchen das Bedürfnis nach wilden Geschichten schon in der frühen Kindheit abzudecken. So ist häufig zu beobachten, dass diese Kinder stundenlang Hörbücher zu hören vermögen, dabei in ihre eigene Geschichtenwelt abtauchen und – im Extremfall – ihre eigenen körperlichen Bedürfnisse vor lauter Fantasiewelt vergessen. So spüren sie manchmal kaum, dass sie erschöpft wären, Hunger oder Durst hätten. Nicht nur beim Hörbuchkonsum ergeht es den Kindern so, es geschieht auch sehr ähnlich beim Gamen. Und im Flow, eingetaucht in die Fantasiewelt, da ist es schwierig als Kind wieder selber auszusteigen. Deshalb brauchen Kids oft zum Beenden des Spiels die Hilfe von uns Erwachsenen. Und ja, es ist einfach sich vorzustellen, wie ein Kind oder Jugendlicher mit gesteigerter emotionaler Sensibilität reagieren kann, wenn das Spiel beendet werden soll. Vielleicht kennen Sie dies aus eigener Erfahrung: schreien, poltern, sich vehement auflehnen etc. sind dann phasenweise an der Tagesordnung. Die Lösung für das hochsensible/hochbegabte Kind ist nicht, den Konflikt zu verhindern, sondern mit dem Kind den Konflikt zu durchleben. Klare Abmachung müssen eingehalten werden, das Game wird abgestellt, auch wenn es einen Gefühlsausbruch beim Kind auslöst. Erachten Sie diese Situationen fürs Kind als wichtiges Übungsfeld fürs Leben. Es lernt dabei seine Frustrationstoleranz aufzubauen und im besten Fall, seine Gefühle zu benennen. Enttäuscht sein darf das Kind, doch das ist kein Grund, jedes Mal eine Szene zu reissen. Das braucht viele Nerven und Geduld und es ist normal, dass wir Eltern diese nicht jeden Tag gleich haben. Da hilft manchmal nur ein inneres «Ommm», atmen und weiter. Glauben Sie mir, ich weiss, wie sich das anfühlt. Grins. Manchmal gibts auch Tage, da lass ich das Thema schleifen. Komischerweise ists dann plötzlich nicht mehr so interessant, ein «Gstürm» abzuziehen. Geht es doch bei den Kindern je nach Phase bloss darum, die Widerstandskraft der Eltern zu testen.

Praxistipp:

Klare, nachvollziehbare Abmachung sind für alle Kinder wichtig, für Kinder mit hoch-x-Themen jedoch speziell wichtig. Verlässlichkeit der Bezugspersonen gibt das Gefühl von Sicherheit, schafft den Rahmen, innerhalb welchem sich das Kind bewegen darf. Da hochsensible Kinder ohnehin schon sehr viel wahrnehmen und dadurch verunsichert reagieren können, ist auch beim Gamen die klare Abmachung unerlässlich.

Wie wäre es also mit Game-Bons? Jeder Game-Bon beinhaltet z.B. 30 min. Gamezeit. Hochbegabte Kinder mögen es, autonom sein zu können. Geben Sie Ihrem Kind die Aufgabe, für sich zu überlegen, wann im Verlaufe der Woche ein guter Zeitpunkt wäre, um einen Game-Bon einzusetzen. Zu welchen Zeitpunkten darf an den Geräten gespielt werden? Handeln Sie zusammen aus. Was ausgehandelt ist anfangs Woche, das gilt. Das letzte Wort haben die Eltern, sie geben die Rahmenbedingungen und Leitplanken. Ist die vereinbarte Gamezeit um, wird abgestellt und ein Gamebon abgegeben. Kein Gamebon mehr da? Gamezeit der Woche um… Stellen Sie sich auch hier auf anfängliche hoch-sensible, hoch-dramatische, hoch-laute, hoch-wütende Gefühlsausbrüche ein. Kann sein. Und mit etwas Glück sind Sie ja an diesem einen Tag hoch-relaxt und können mit dem nun erlesenen Hintergrundwissen hoch-cool reagieren. Kaffee andrücken und notfalls nach dem Kaffee den Sicherungsschalter umkippen.

Literatur:

Preckel, Franzis und Vock, Miriam (2021): Hochbegabung: ein Lehrbuch zu Grundlagen, Diagnostik und Fördermöglichkeiten. 2., überarbeitete Auflage Aufl. Göttingen: Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG. doi:10.1026/02850-000.

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