Am 25. November habe ich einen Artikel mit dem Titel „Was ist eigentlich Neurodivergenz“ geschrieben. Gerne möchte ich einen zweiten Teil dazu veröffentlichen, einen wesentlichen. Es geht dabei darum, tiefer auf die Bedürfnisse neurodivergenter Kinder einzugehen. Dazu müssen wir die verschiedenen Aspekte des Lebensalltags und die konkreten Herausforderungen analysieren. Hier eine detailliertere Betrachtung der Anforderungen zuhause und in der Schule:
Zuhause – ein stabiles Fundament schaffen
Neurodivergente Kinder brauchen zuhause eine Umgebung, die sowohl Stabilität als auch Flexibilität bietet, um ihre individuellen Stärken und Herausforderungen anzusprechen.
Struktur und Flexibilität im Gleichgewicht:
Viele neurodivergente Kinder (z. B. mit Autismus oder ADHS) fühlen sich in einem strukturierten Alltag sicherer. Aber zu starre Regeln können sie überfordern.
Das könnte helfen:
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- Flexibilität
einplanen: Zeit für unerwartete Pausen oder Anpassung an Stimmungen. - Tagespläne mit visuellen Hilfsmitteln (z. B. Bilderpläne / Metacom ist sehr geeignet.)
- Flexibilität
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Regulierung sensorischer Reize:
Neurodivergente Kinder reagieren oft über- oder unterempfindlich auf Geräusche, Licht oder Berührungen.
Das könnte helfen:
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- Einen Rückzugsraum einrichten, der ruhig und reizarm ist.
- Sensorische Hilfsmittel nutzen: Gewichtsdecken, Noise-Cancelling-Kopfhörer oder Knautschbälle.
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Förderung emotionaler Selbstregulation:
Neurodivergente Kinder haben oft Schwierigkeiten, Emotionen zu erkennen oder zu regulieren.
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- Mit Gefühlskarten oder Apps Emotionen erkennen lernen.
- Strategien zur Beruhigung üben, z. B. Atemübungen, Bewegung oder kreative Tätigkeiten, draussen auspowern
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Individuelle Kommunikation:
Manche Kinder (z. B. mit Autismus) haben Schwierigkeiten, ihre Gedanken und Bedürfnisse verbal auszudrücken.
Das könnte helfen:
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- Alternativen zur verbalen Kommunikation schaffen: Zeichnen, Schreiben oder Apps.
- Offene, wertfreie Gespräche, die das Kind nicht unter Druck setzen.
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Stärkenorientierte Förderung:
Neurodivergente Kinder hören oft, was sie „nicht können“. Das kann ihr Selbstbild beeinträchtigen. Ein wesentlicher «Gamechanger» ist dabei, den Fokus, wie im Buch «Ein Kopf voll Gold», zu drehen. Die Talente und Interessen sollen bewusst und gezielt gefördert werden.
Das könnte helfen:
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- Erfolge sichtbar machen: Ein „Erfolgstagebuch“ führen oder Fortschritte feiern.
- Unterstützen das Kind in seinen Stärken. Lasse es an Freizeitangeboten teilnehmen, die es liebt und in denen es Begabung sowie Freude hat.
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Unterstützung der sozialen Kompetenz:
Einige Kinder tun sich schwer, soziale Signale zu lesen oder Freundschaften zu schließen.
Das könnte helfen:
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- Soziale Situationen zuhause üben
- Gemeinsame Aktivitäten mit Gleichgesinnten fördern, z. B. in Gruppen, die spezielle Interessen teilen, in Sport- oder Musikvereinen.
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Schule – Lernen und Wohlbefinden vereinen
Die Schule ist oft eine Herausforderung für neurodivergente Kinder, da sie eine hohe Anpassung an normierte Anforderungen verlangt. Ein erfolgreiches Schulerlebnis erfordert individuelle Förderung, Zusammenarbeit und stetige Anpassungen an die konkrete Situation des Kindes.
Neurodivergente Kinder brauchen ein Umfeld, das ihre Andersartigkeit nicht als Defizit sieht. Auch hier zählt wieder der positive «Goldblick» auf den Menschen.
Individualisierte Lernwege:
Viele neurodivergente Kinder passen nicht in standardisierte Lehrmethoden.
Das könnte helfen:
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- Lehrmethoden anpassen: Multisensorische Ansätze (visuell, auditiv, haptisch) verwenden.
- Flexibilität bei Aufgaben: Mehr Zeit geben, alternative Wege zur Aufgabenbearbeitung (z. B. mündlich statt schriftlich). Dabei sind oftmals vereinbarte Nachteilsausgleiche sehr wertvoll.
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Unterstützung bei der Selbstorganisation:
Kinder mit ADHS oder Exekutivfunktionsschwächen haben oft Mühe, Aufgaben zu planen oder sich auf Ziele zu konzentrieren.
Das könnte helfen:
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- Checklisten, visuelle Zeitpläne, Abfolgen grundsätzlich visualisieren
- Regelmäßige Unterstützung durch die Fachperson IF oder Fachperson Begabungs- und Begabtenförderung
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Reizreduktion im Klassenzimmer:
Überfüllte Klassenzimmer mit viel Lärm und visuellen Reizen können ablenken.
Das könnte helfen:
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- Flexible Sitzordnung: Möglichkeit, in einer ruhigen Ecke zu arbeiten.
- Einsatz von Noise-Cancelling-Kopfhörern oder ablenkungsfreien Zonen.
- Bei genügend Platz im Schulhaus manchmal sogar Einzelzimmer
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Sinnvolle Pausen und Bewegungsmöglichkeiten:
Neurodivergente Kinder können sich oft besser konzentrieren, wenn sie regelmäßig aktiv sind.
Das könnte helfen:
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- Bewegungsangebote wie kurze Sport- oder Yogaeinheiten.
- Zugang zu einem Ruheraum während der Pause.
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Nachteilsausgleich konsequent umsetzen:
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- Beispiele:
- Verlängerung der Bearbeitungszeit in Prüfungen.
- Alternative Bewertungsmethoden (Stelle dich der Frage, wann machen andere Testformen Sinn? Braucht es immer herkömmliche Testsettings oder reicht mal ein mündlicher Check zur Sicherung der Lernziele?)
- Erlaubnis, technische Hilfsmittel wie z.B. «Buchknacker» zu nutzen.
- Beispiele:
Starke Beziehung zu Lehrkräften:
Vertrauen zu den Lehrern kann den Unterschied zwischen einem förderlichen und einem belastenden Schulerlebnis ausmachen.
Das könnte helfen:
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- Empathie zeigen, sich Zeit nehmen, das Kind kennenzulernen.
- Spontane, simple Alltagsfragen stellen («Hallo, gut geschlafen?», «Wie läufts, geht’s dir gut?», «Hei, habt ihr den Handballmatch gestern gegen xxx gewonnen?») Interesse am Alltag des Kindes/Jugendlichen zeigen.
- Gemeinsam Ziele formulieren, bei denen das Kind mitbestimmen kann.
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Zusammenarbeit zwischen Zuhause und Schule
Eltern und Lehrkräfte sind gemeinsam verantwortlich für die bestmögliche Entwicklung des Kindes.
Das könnte helfen:
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- Regelmäßiger Austausch über Fortschritte, Schwierigkeiten und Lösungen.
- Gemeinsames Entwickeln von Strategien, z. B. im Rahmen eines Förderplans.
Neurodivergenz: Ein spannendes Thema, meine ich persönlich. Doch wir müssen gar nichts schönreden. Jahrzehntelang war unser Schulsystem nun wirklich nicht auf die Bedürfnisse neurodivergenter Kinder ausgerichtet. Wenig Bewegung, wenig Pausen, wenig Rückzug, viel sitzen, viele Reize. Obwohl sich einiges an den Schulen stark verändert, sind die reizoffenen Gehirne der neurodivergenten Kinder immer noch massiv beansprucht, was zu herausfordernem Verhalten führen kann. Dabei wird von Eltern und Lehrern gleichermassen viel abverlangt. Deshalb lohnt es sich immer wieder neu darüber nachzudenken, was denn LÖSUNGEN für diese Kinder sein könnten. Einige Punkte habe ich oben angesprochen. (vgl. Niechzial, 2024, S. 197)
Möchtest du mehr konkrete Tipps für DEINEN Alltag mit dem neurodivergenten Kind? Oder stehst du irgendwo an und findest gerade den Umgang damit nicht? Melde dich für einen Termin bei Lernvision21. Wir machen uns gemeinsam auf den Weg, nach dem «Gold» DEINES Kindes zu suchen und überlegen uns, was es konkret dazu braucht. Potenzialorientiert – lösungsorientiert.
Verwendete Literatur:
Niechzial, S. (2024). Ein Kopf voll Gold: Was neurodivergente Kinder brauchen und wie wir sie stärken können (1. Auflage). Julius Beltz GmbH & Co. KG.